Globale Bedingungen für Nachhaltige Entwicklung
Published by Redakteur on 27. März 2014 - 13:55
Vortrag am IZT, 17.2.2014
Autor: Prof. Dr. Bernd Hamm
Die Frage, der ich nachgehen will, lautet: Unter welchen Bedingungen ist Nachhaltige Entwicklung möglich? Oder spezifischer: Ist Nachhaltige Entwicklung unter heutigen globalen Bedingungen möglich? Noch weiter eingegrenzt: Welche Chancen hat die Große Transformation, die der WBGU in seinem Gutachten von 2011 anmahnt?
Aufbau:
1. Große Transformation
2. Globale Szenerie
3. Perspektiven
1. Die Große Transformation
Ich will zunächst mit einigen Zitaten daran erinnern, worum es dem WBGU geht:
„Die Gesellschaften müssen auf eine neue „Geschäftsgrundlage“ gestellt werden. Es geht um einen neuen Weltgesellschaftsvertrag für eine klimaverträgliche und nachhaltige Weltwirt-schaftsordnung. Dessen zentrale Idee ist, dass Individuen und die Zivilgesellschaften, die Staaten und die Staatengemeinschaft sowie die Wirtschaft und die Wissenschaft kollektive Verantwortung für die Vermeidung gefährlichen Klimawandels und für die Abwendung anderer Gefährdungen der Menschheit als Teil des Erdsystems übernehmen. … Ein zentrales Element in einem solchen Gesellschaftsvertrag ist der „gestaltende Staat“, der für die Trans-formation aktiv Prioritäten setzt, gleichzeitig erweiterte Partizipationsmöglichkeiten für seine Bürger bietet und der Wirtschaft Handlungsoptionen für Nachhaltigkeit eröffnet. … Es gibt einen globalen politischen Konsens darüber, dass eine rasch erfolgende Erderwärmung von mehr als 2 °C die Anpassungsfähigkeit unserer Gesellschaften überfordern würde. Die Folgen wären Umweltkrisen mit erheblichen sozialen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Risiken. Die Vermeidung gefährlicher Klimaänderungen ist daher zu einer der großen Menschheitsherausforderungen geworden. … Das Ausmaß des vor uns liegenden Übergangs ist kaum zu überschätzen. Er ist hinsichtlich der Eingriffstiefe vergleichbar mit den beiden fundamentalen Transformationen der Weltgeschichte: der Neolithischen Revolution, also der Erfindung und Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht, sowie der Industriellen Revolution ... Die Weltbürgerschaft stimmt Innovationserwartungen zu, die normativ an das Nachhaltigkeitspostulat gebunden sind, und gibt dafür spontane Beharrungswünsche auf. Garant dieses virtuellen Vertrages ist ein gestaltender Staat, der für die Zustimmung zu Nachhaltigkeitszielen die Bürgerschaft an den zu treffenden Entscheidungen beteiligt“.
Ziel der Großen Transformation ist die Verhinderung der weiteren Erderwärmung über 2°C hinaus. Instrument dafür ist die Reduktion der Treibhausgasemissionen durch Dekarboni-sierung des Energiesystems. Das soll durch die Umwandlung der Energiesysteme, durch Gestaltung der Urbanisierungsprozesse und durch eine Steuerung der Landnutzung geschehen. Die PIK-Lastigkeit des Arguments, aber auch die Verengung der Wahrnehmung lässt sich daran unschwer erkennen.
Ist das die Depolitisierung eines fundamental politischen Problems? Es wird zu einem technischen umdefiniert. Die Reduktion von Treibhausgasen ist zumindest wissenschaftlich kein übermäßig anspruchsvolles Thema: die Quellen der Emissionen sind bekannt, auch die Dimensionen, und an praktischen Vorschlägen mangelt es wahrhaftig nicht. Viel interessanter ist gerade deshalb die Frage, wieso das nicht längst geschieht! Schlimmer noch: Wir haben uns offenbar bereits damit abgefunden, dass wir das Problem kaum lösen werden, jedenfalls nicht in der kurzen Zeit, die uns PIK und WBGU zur Verfügung stellen. In der weltweiten Diskussion ist Prevention schon seit einer ganzen Weile von Mitigation und Adaptation abgelöst worden, wir haben bereits resigniert.
Das Gutachten will praxisnah sein – jedenfalls so wie der WBGU Praxis versteht; Beispiele: „In einer Reihe von Ländern ist derzeit ein Ausbau der Kernenergie geplant. Davon rät der WBGU dringend ab.“ … „Der stattfindende Urbanisierungsschub muss also bei hoher Geschwindigkeit in eine klimaverträgliche Stadtentwicklung umgelenkt werden.“ „Das Thema klimaverträgliche Urbanisierung sollte daher so hoch wie möglich auf die Agenda der internationalen Politik gesetzt werden.“ Das ist richtig – und keineswegs neu: Bereits 1991 habe ich an den damaligen Bundesumweltminister den Vorschlag geschickt, den ökologischen Umbau der Städte Osteuropas mit ihrer verrotteten Infrastruktur mit allerhöchster Priorität auf die europäische Transformationsagenda zu setzen. Keine Antwort. Stattdessen sind die Immobilienspekulanten eingefallen. Ich will Ihnen gerne über Erfahrungen aus Hyderabad berichten, wenn es Sie interessiert. Michael Knoll und ich waren beteiligt an einem Konsortium, das diese Emerging Megacity auf den Weg zur Nachhaltigen Entwicklung bringen sollte. Daran wäre zu erkennen, dass die realen Bedingungen praktischen Handelns vom WBGU nicht verstanden werden. Aber das merkt man schon daran, dass die „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“ 27 Seiten braucht. So wie das Zukunftsfähige Deutschland von 1996 mit seinen 8 Leitbildern an keiner Stelle nachfragt, weshalb die Welt so ist wie sie ist, so gilt das auch für diesen Bericht. Die Perspektive ist technokratisch: ein starker Staat soll das leisten, nur wenig überzeugend soll er durch breite Partizipationsmöglichkeiten gemildert werden. Warum eigentlich – wenn wir doch wissen, was zu tun ist? Eigentlich kann man das nur (welt-) diktatorisch umsetzen. Davor aber scheut das Gutachten zurück.
Das Gutachten ist aus vielen Gründen weltfremd: 1. Adressat ist die Bundesregierung – aber deren Handlungsmöglichkeiten, auch deren Handlungswillen werden gigantisch überschätzt. 2. Ist der Staat systematisch geschwächt und zum Instrument der globalen Umverteilung von unten nach oben, gerade auch auf Kosten der Umwelt, transformiert worden. 3. Gibt es diesen Konsens der Weltbevölkerung überhaupt nicht. 4. Verkennt der Bericht vollkommen die globalen Machtverhältnisse, mit denen ich mich gerade beschäftige.
Was verhindert eigentlich, dass wir all die vernünftigen Dinge, die in unendlich vielen Papieren aufgezählt werden, auch praktisch tun? Das Kernproblem Nachhaltiger Entwicklung ist lange bekannt: die Kluft zwischen Wissen und Handeln. NE ist keine technische, es ist eine soziale Aufgabe! Mit dieser Frage habe ich mich während meines Lebens als Wissenschaftler ständig beschäftigt. Ich habe mich mit dem 2bändigen Lehrbuch 1996 mit der Funktionsweise gesellschaftlicher Institutionen befasst: mit Politik, Ökonomie, Medien, sozialer Sicherung, und das in der Neuauflage 2006 aktualisiert. Die Bücher sind nicht einmal rezensiert worden. Dazu kam dann 2004 das USA-Buch, das davor warnt, dem neokonservativen Weg zu folgen. Dann 2006 Kulturimperialismus, die Frage, wie unsere Wahrnehmungen und Problemverständnisse industriell gefertigt werden, und der Medien-Artikel, der dort keinen Platz mehr hatte. Und schließlich resignierend Umweltkatastrophen (2011), eine Untersuchung der Frage, auf welche Weise es geschieht, dass unsere Spezies ihre eigenen biologischen Lebensgrundlagen zerstört. Dem Buch hat man vorgeworfen, dass es keinen optimistischen Ausgang anbiete – das ist richtig. 2010 schließlich das Kernthema, der Macht-Artikel in FUTURES, mit dem ernüchternden Fazit, dass unter gegebenen globalen Machtverhältnissen an eine Lösung des Nachhaltigkeitsproblems nicht zu denken sei. An dessen Fortsetzung arbeite ich gerade. Die Schlüsselvariable aller sozialen Verhältnisse, Macht, ist aus dem Kanon soziologischen Interesses verschwunden und kehrt selbst in die Politische Wissenschaft nur sehr zögerlich wieder ein. Wer das nicht versteht, bleibt in realitätsfernen Träumereien gefangen. Wer es versteht, kann es freilich noch lange nicht ändern.
2. Szenerie
Wie also haben sich die globalen Machtverhältnisse verändert? Während der WBGU von der Großen Transformation träumt, ist die in Wirklichkeit längst im Gang:
Vielleicht hat sie am 15. August 1971 begonnen, als Präsident Nixon das Bretton Woods-Abkommen und die Goldbindung des Dollar aufkündigte. Das erlaubt der US-Regierung eine sehr lockere Geldpolitik. Nur ein paar Stationen im Kurzdurchgang, zur Erinnerung: November 1973 „Ölpreisschock“, Beginn der öffentlichen Sparhaushalte und der Arbeitslosigkeit. 1975 Geheimabkommen mit Saudis, später mit der OPEC: Rohöl soll nur in US-Dollar gehandelt werden. Die Folge: Da alle Länder nun US-Dollar brauchen, um ihre Ölrechnung zu bezahlen, können sich die USA nicht nur eine massive Ausweitung der Geld-menge leisten, sondern auch die Arbeitsleistungen anderer Länder praktisch zu den Druck-kosten der Dollars aneignen. Nach einer gigantischen Propagandaoffensive kommen die Neokons/Neoliberalen an die Regierung: 1979 Thatcher, 1980 Reagan, 1982 Kohl. Ihr Programm: Gewerkschaften entmachten, Steuerpolitik zugunsten der Unternehmen und der Reichen umbauen, Sozialpolitik beschneiden, deregulieren, privatisieren, Staatsquote zurückfahren. 1982 Mexiko-Krise, Beginn der Strukturanpassungsdiktate. Um 1990 der Kollaps der sozialistischen Regime. 1992 Maastrichtvertrag mit 4 Freiheiten: Waren, Dienstleistungen, Personen, Kapital. Finanzkrise 2007/08. Ab 2007 kauft die Fed im Umfang von jährlich einer Billion Dollar Staatsanleihen auf: Aktienboom, Finanzialisierung, Land-grabbing sind die Folge, die Ansammlung riesiger Reichtümer in wenigen Händen, die dann zu noch mehr Einfluss der Unternehmen und der Reichen auf die Politik genutzt werden. TPIP, TTIP als Gipfel – was ja im Wesentlichen die Rückkehr des MAI bedeutet, das 1998 von den NGOs verhindert worden war.
Mit der Reagan-Administration kommt die PNAC-Gruppe an die Macht. Ihr im Rückblick folgenreichster Fehler war es, die Gorbatschow-Angebote auf Abrüstung und Friedens-sicherung nicht aufzunehmen. Stattdessen wurde das Versprechen, die NATO nicht auszudehnen, gebrochen. Am 2.8.1990 tappte Saddam Hussein in die Kuweit-Falle. Dieser erste Irakkrieg kann als Beginn des US-amerikanischen Unilateralismus verstanden werden. Er hat seither nicht aufgehört. Die innere Logik erschließt sich mit Brzezinskis The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives vom September 1998, gefolgt von Rebuilding America's Defenses: Strategies, Forces, And Resources For A New Century aus dem Jahr 2000. Dann kam 9/11 und damit der umfassende War on Terror. Als Teil davon dient Regime Change mit überwiegend verdeckten Operationen dazu, missliebige Regierungen loszuwerden und die eigene Einflusszone auszudehnen (Serbien, Georgien und andere, zuletzt Ukraine). PNAC gibt es offiziell nicht mehr, dafür FPI mit teilw. neuem Personal, initiiert von Robert Kagan. Wir sind in einem globalen Rohstoffkrieg.
Die US-amerikanische Hegemonie zerbröckelt im Zusammenwirken innerer Konflikte und äußerer Opposition. Der Exzeptionalismus wird mit der umfassenden Überwachung auf eine absurde Spitze getrieben. Das ist auch der Machtelite bewusst: sie läuft Amok, es geht nur noch um kurzfristig-maximale Bereicherung, egal auf wessen Kosten.
Was geschah mit der Idee Nachhaltiger Entwicklung? Die Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung konnte erst 1992 nach dem Ende Blockspaltung zu neuer Hoffnung werden. Erst jetzt sollte die Friedensdividende zur Verfügung stehen. Tatsächlich hat die GV mit der Serie der Weltkonferenzen der 1990er Jahre bis hin zu den Millenniumszielen ein umfassendes Inventar des Weltgewissens erarbeitet. Nachhaltige Entwicklung sollte zum Leitprinzip globaler ebenso wie nationaler Politik werden. Die Ernüchterung folgte umgehend. In den USA hatten die Industrielobbies schon in den Vorkonferenzen vor Rio versucht, Themen wie Klimawandel oder Biodiversität aus den Verhandlungen herauszuhalten. Als dies nicht gelang, sollte den Abkommen wenigstens eine möglichst unverbindliche Form gegeben werden. 1997 kam der Entwurf des Kyoto-Protokolls mit seinem klimapolitisch höchst ungenügenden Ziel, weltweit 5,2% der Treibhausgasemissionen bis 2012 einzusparen. Die USA haben es mit der Einführung von Emissionshandel und CDM erreicht, den Prozess technisch tot zu verhandeln, sind dann in Den Haag ausgestiegen, haben den Rest der Welt mit dem Ergebnis alleine gelassen. 2009 in Kopenhagen haben sie die globale Klimapolitik ganz zu Fall gebracht. Die Konfliktlinien bei der Biodiversitätskonvention verlaufen nicht genau gleich, aber auch bei den Verhandlungen zum Nagoya-Protokoll wird deutlich, dass die USA alles tun, um die Patentierbarkeit genetischen Materials durchzusetzen und den gerechten Vorteilsausgleich zu verhindern. Dabei sollte man nicht übersehen, dass die G.W. Bush Administration unter dem Einfluss der PNAC zahlreiche andere UN-Vereinbarungen blockiert oder boykottiert haben. Nachhaltige Entwicklung als globale Aufgabe hat in dieser Machtkonstellation keine Chance. Nun schiebt man SDGs/MDGs anstelle völkerrechtlich verbindlicher Regime als neue Spielwiese auf den Verhandlungstisch.
Die These, nach der globale Probleme global gelöst werden könnten, ist damit widerlegt.
3. Perspektiven
Was steht uns bevor? Welche Chance hat NE in diesem Szenario? Die US-amerikanische Hegemonie geht ihrem Ende zu. Die Opposition gegen die Neoliberalen wächst. Vermutlich werden wir schon in diesem Jahr wichtige Umwälzungen erleben. Viele setzen auf NGOs und lokale/regionale Lösungen, ich auch. Aber werden die Bedingungen dafür wirklich besser? Man denke nur an die Situation der Kommunalhaushalte, an die fortgesetzt einseitige Steuerpolitik, an die Mittel für die Bankenrettung, an die Rolle der Steueroasen und die Lobbies der TNCs. An vielen Orten auf der Welt wird gleichzeitig der Humus bereitet, auf dem eine Große Transformation aufbauen kann – aber sie wird nicht durch Staaten und Regierungen entstehen, sie wird von unten kommen. Der Prozess wird regional sehr unterschiedlich verlaufen: einige retten sich, andere gehen in Kriegen und Katastrophen unter. Und er ist keineswegs sicher, er ist und bleibt verletzlich. Die Verlierer werden mit aller Macht zu verhindern suchen, dass er sich durchsetzt. Dazu gehört insbesondere militärische Macht.
Sie haben natürlich recht, das hätte ich einfacher haben können: Ich hätte nur den Koalitionsvertrag analysieren und zeigen müssen, was er für Nachhaltige Entwicklung hergibt. Aber ich hatte Ihnen ja „global“ versprochen, und darin ist auch deutsche Politik eingebunden. Als maßlose Selbstüberschätzung stellt sich dar, was der WBGU wahrscheinlich für mutig und für Weiten Blick hält. Wer sich die Analyse der Wirklichkeit erspart, der wird sie nicht verändern können – wobei die Analyse eine notwendige, allerdings nicht auch schon hinreichende Bedingung ist.
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Prof. Dr. Bernd Hamm
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